Otto Piene

Die Nächte des Héliogabalus
2014, Ten lithographs for ten poems by Fernando Arrabal as well as cover pages, 78 × 58 cm

Die Nächte des Héliogabalus

Die Nächte des Héliogabalus

Die gekrezigten Haie

Die gekrezigten Haie

Gute Nacht Zukunft

Gute Nacht Zukunft

Die Ozeanpassage

Die Ozeanpassage

Erzengel erzielen ein Tooooooor

Erzengel erzielen ein Tooooooor

Die Spiegel Säuber

Die Spiegel Säuber

Der Anker des Verrtigo

Der Anker des Verrtigo

Die Insel, die in einen Strern versank

Die Insel, die in einen Strern versank

Der bemooste Stein

Der bemooste Stein

Karte der Nuancen

Karte der Nuancen

 
Umschlag

Umschlag

 
 
 

“Aus der Kunstwelt ausbrechen, das Vakuum füllen”

– Otto Piene

 

Zu "Die Nächte des Héliogabalus" (Gedichte von Fernando Arrabal, Lithographien von Otto Piene, Text von Ante Glibota)

Mit einer fulminanten Kooperation, dem lithographischen Mappenwerk: "Die Nächte des Héliogabalus", beschloß Otto Piene im Juni 2014 sein künstlerisches Werk. Kurz vor seinem Tod ließ sich der Maler, Licht- und Sky Art-Künstler von für ihn geschriebenen Versen des französisch-spanischen Dichters Fernando Arrabal inspirieren. Als Schlußstein des Werks entstand ein letztes Hauptwerk.

Otto Piene hat Arrabal 2013 in Paris persönlich näher kennengerlernt und mag in dessen bizarrem, worttrunkenen Werk, das den Nachtgesichten eines Goya entsprungen zu sein scheint, einen herausfordernden Gegenpol zu seinen eigenen lichtenVisionen gesehen haben. Diese waren ja immer wieder explizite Friedenszeichen. So der weitgespannte Regenbogen für die Olympischen Spiele 1972 in München.

„Héliogabalus“, der durch eine Revolte vor zweitausend Jahren Kaiser von Rom wurde, inspirierte schon Artauld zu seinem "Theater der Grausamkeit“. Arrabal und Piene fanden in den Irrsinnstaten dieses unbändigen und zügellosen Anarchisten auf dem Thron „die andere Seite im Spiegel“. Diejenige, auch immer allgegenwärtige, die plötzlich das Ambivalente aller menschlichen Handlungen und Wertungen enthüllt.

So heißen auch die Eingangsverse des Zyklus und der lithographischen Folge: "Die Spiegel säubern"

Die surrealen Wortschöpfungen von Arrabal und die visionären Bildwelten von Piene prallen mit Wucht aufeinander und lassen plötzlich absurde Konstellationen von Wortkonnotationen und Bildgebungen entstehen. Die Überraschung schlägt Funken - auch von Heiterkeit - die als Schwester des Lachens der Angst Einhalt gebietet und das Grauen bannt.

Es ist ein heller Hoffnungsstrahl, den Piene - ganz Piene - auch in sein letztes Werk hineingewoben und uns – fast mit einem aufmunternden Zwinkern - als letzten Gruß hinterlassen hat: Lasst uns „aus der Kunst aufbrechen. Die Lücken füllen!“

Die Zusammenarbeit beider Künstler hat der Pariser Historiker und Autor Ante Glibota, Verfasser umfassender Publikationen zu Arrabal und Piene, vermittelt und als Zeuge der künstlerischen Arbeit in einem grundlegenden Text festgehalten.

Arrabal schrieb damals für Piene zehn Gedichte, u.a. mit den Titeln "Schlund der Hölle", "Der Anker des Vertigo", "Ozeanpassage" oder „Die Insel, die in einen Stern fiel“. Piene hat auf diese Verse spontan und direkt, ohne jede Vorarbeit, reagiert. In der renommierten Lithographenpresse von Stephane Guilbaud an der Pariser Gare de Lyon wurde das Werk unter direkter Aufsicht des Künstlers gedruckt. Arrabal selbst steuerte dann die arabeskenhaften Schriftzüge für die Titelseite hinzu. Es entstand ein fulminantes bibliophiles Mappenwerk aus ungebundenen Seiten von großem Format.

Piene rief zuerst als ZERO-Künstler in Deutschland, dann als Schöpfer der Sky Art in der Weite der Landschaften Amerikas dazu auf, den Himmel als atmosphärische Hülle der Erde und als mythischen Sitz der Götter nicht dem Feuer und der Zerstörungsgewallt der Kriegswaffen zu überlassen, sondern ihn mit Imaginationskraft spirituell zu erobern: "Wir, die ernsthaften Künstler, müssen uns der Realität stellen, aufwachen, aus der Kunstwelt ausbrechen, das Vakuum füllen." (Sky Art Manifest)

Pienes Bildwelt begann mit Zeichnungen vom Himmel stürzender Menschen. Als Flakhelfer hatte er das Elend des Weltkriegs, die düstere Seite der Welt gesehen, setzte als ZERO-Künstler dagegen leuchtende Lichtballetts, lichtvolle Rasterbilder, energiegeladene Rauchzeichnungen und Feuerbilder. Hier herrschte buchstäblich "Freude schöner Götterfunken". Als Sky Art-Künstler setzte Piene Sterne, Blumen, mythische Figuren an emporsteigenden Heliumschleifen in den Himmel. In internationalen Sky Art Konferenzen bekamen diese Werke kollektive Kraft.

Diese immer wieder neuen Konstellationen der künstlerischen Kooperation haben Piene auch für die befreienden Impulse, die bei Fernando Arrabal vom Absurden ausgehen, die die verhärteten ideologischen Strukturen mit der Kraft des Wortes aufbrechen, weit geöffnet. Arrabal hat diese Tonlage virtuos beherrscht - eine weitere neue Herausforderung also damals für Piene: das Paradiesische und das Groteske - ja Dämonische - stehen sich gegenüber, kämpfen miteinander. durchdringen sich in offener Ambivalenz. Das Haupt der Medusa, bei deren Blick man versteinert, zwinkert uns zu, Haie werden unsakral in vergiftetem grünen Wasser gekreuzigt, rote, blutbeschmierte Arme recken sich aus dem Wasser: Beten sie flehend oder rufen sie auf zu Revolution und Widerstand?

Otto Piene ist wenige Wochen nach Vollendung dieser hochexplosiven Bilder in Berlin gestorben. Diese Kooperation mit Arrabal, wurde durch Otto Piene zu einem lebensspendenden Elixir aus abgründiger Groteske, aufblitzender Heiterkeit, Liebe zu allem Lebendigen und großer Friedenssehnsucht - zu einem epochalen Werk.

– Constanze Kleiner / Stephan von Wiese

 

Bio

The German artist Otto Piene (* 1928 in Laasphe/Westphalia) is one of the great pioneers and innovators in 20th century art. Still trained as a painter, he turned away from classical art forms as early as the mid-1950s and instead opened up new space for art. Otto Piene´s pioneering amalgamation of art, science and technology have made him one of the most influential personalities of post-war art. Through founding the artists' group ZERO in 1958 with Heinz Mack and Günther Uecker - also an artist in this exhibition - Piene proclaimed a new era in Western art, developing numerous projects and events that took place in public spaces outside galleries and museums. His grid, smoke and fire paintings, his light rooms and kinetic light ballets created during this period stand for a visionary combination of nature and science and art that was novel at the time. His eclectic ouevre includes painting, drawings, reliefs, kinetic installations, participative performances and environments that focus on the concepts of light, dynamics, and movement. With his fire, smoke and light works, he has been a permanent representative at Documenta and the Venice Bienniale since 1959. These open artistic approaches culminated in numerous interdisciplinary projects in public space in the late 1960s through his move to the United States and through his work as an MIT professor and as director of the Center for Advanced Visual Studies (CAVS, Cambridge, Massachusetts). Nearby, in Groton, Massachusetts, he developed his "Art Farm" with his wife Elizabeth Goldring. Together with scientists and other artists, Piene realized so-called Sky Art Events and Sky Art Conferences starting in 1968: Otto Piene let air- or helium-filled sculptures rise into the sky above buildings, stadiums, rivers, landscapes worldwide - including his monumental rainbow for the closing ceremony of the 1972 Olympic Games in Munich. The open works, each developed collectively and often colorful, became signs of hope and peace worldwide.

Der deutsche Künstler Otto Piene (* 1928 in Laasphe/Westfalen) zählt zu den großen Pionieren und Erneuerern in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Noch ausgebildet als Maler hat er sich von den klassischen Kunstformen bereits Mitte der 1950er Jahren abgewandt und stattdessen den Raum für die Kunst geöffnet. Im Rahmen der internationalen Zero-Bewegung, die er zusammen mit Heinz Mack begründete, entwickelte er zahlreiche Projekte und Veranstaltungen, die auch außerhalb von Galerien und Museen im öffentlichen Raum stattfanden. Seine in dieser Zeit entstandenen Raster-, Rauch- und Feuerbilder, seine Lichträume und kinetischen Lichtballette stehen für eine damals neuartige, visionäre Verbindung von Natur und Wissenschaft und Kunst. Diese offenen künstlerischen Ansätze kulminierten Ende der 1960er Jahre durch seine Übersiedlung in die USA und durch seine Arbeit als MIT-Professor und als Direktor des Center for Advanced Visual Studies (CAVS, Cambridge, Massachusetts) in zahlreichen interdisziplinären Projekten im öffentlichen Raum. Ganz in der Nähe, in Groton (Massachusetts) entwickelte er zusammen mit seiner Frau Elizabeth Goldring seine „Art Farm“. Gemeinsam mit Wissenschaftlern und anderen Künstlern realisierte Piene ab 1968 so genannte Sky Art Events und Sky Art-Konferenzen: Luft- oder helium-gefüllte Skulpturen ließ Otto Piene weltweit über Gebäuden, Stadien, Flüssen, Landschaften in den Himmel steigen – darunter seinen monumentalen Regenbogen für die Abschlussfeier der Olympischen Spiele 1972 in München. Die offenen, jeweils im Kollektiv entwickelten und oft farbenfroh angelegten Arbeiten wurden weltweit zu Zeichen von Hoffnung und Frieden.